Kempner-Reihe

In der Mathematik bezeichnen die zehn Kempner-Reihen, benannt nach Aubrey J. Kempner, diejenigen Reihen, die dadurch entstehen, dass man aus der harmonischen Reihe H n = k = 1 n 1 k {\displaystyle H_{n}=\sum _{k=1}^{n}{\frac {1}{k}}} alle Summanden entfernt, die eine bestimmte dezimale Ziffer in ihrem Nenner enthalten. Die Kempner-Reihen gehören daher zu den subharmonischen Reihen.

Lässt man etwa alle Summanden weg, deren Nenner die Ziffer 0 {\displaystyle 0} in seiner Dezimalschreibweise enthält, ergibt sich die Kempner-Reihe K 0 {\displaystyle K_{0}} als

K 0 = 1 + 1 2 + 1 3 + 1 4 + + 1 9 + 1 11 + + 1 19 + 1 21 + +  usw.  + + 1 99 + 1 111 + {\displaystyle K_{0}=1+{\frac {1}{2}}+{\frac {1}{3}}+{\frac {1}{4}}+\cdots +{\frac {1}{9}}+{\frac {1}{11}}+\cdots +{\frac {1}{19}}+{\frac {1}{21}}+\cdots +{\text{ usw. }}+\cdots +{\frac {1}{99}}+{\frac {1}{111}}+\ldots }

Oder durch Auslassen der Summanden mit einer 1 {\displaystyle 1} im Nenner:

K 1 = 1 2 + 1 3 + + 1 9 + 1 20 + 1 22 + + 1 30 + 1 32 + +  usw.  + + 1 99 + 1 200 + 1 202 + {\displaystyle K_{1}={\frac {1}{2}}+{\frac {1}{3}}+\cdots +{\frac {1}{9}}+{\frac {1}{20}}+{\frac {1}{22}}+\cdots +{\frac {1}{30}}+{\frac {1}{32}}+\cdots +{\text{ usw. }}+\cdots +{\frac {1}{99}}+{\frac {1}{200}}+{\frac {1}{202}}+\cdots }

Sie wurden erstmals von Aubrey J. Kempner 1914 beschrieben.[1]

Das Interessante an diesen zehn Reihen ist, dass sie alle konvergieren, obwohl die harmonische Reihe selbst nicht konvergiert. Dies wurde von Kempner bewiesen; daher werden die Reihen oft Kempner-Reihen genannt. Die Konvergenzeigenschaft wird auch dadurch deutlich, dass bereits ab 7-stelligen Zahlen diese mehrheitlich wegfallen und es bei großen Zahlen nur wenige gibt, die eine bestimmte Ziffer nicht enthalten und so einen Additionsbeitrag leisten können.[2]

Beweis der Konvergenz

Für die Kempner-Reihe K 0 {\displaystyle K_{0}} sind

  • im einstelligen Nennerbereich 1 bis 9 genau   9 {\displaystyle \!\ 9} Nenner (alle) zulässig;
  • im zweistelligen Nennerbereich 10 bis 99 genau 9 9 = 9 2 {\displaystyle 9\cdot 9=9^{2}} Nenner (neun Ziffern an der ersten Stelle mal neun Ziffern an der zweiten Stelle möglich) zulässig;
  • im dreistelligen Nennerbereich 100 bis 999 genau 9 9 9 = 9 3 {\displaystyle 9\cdot 9\cdot 9=9^{3}} Nenner zulässig; usw.,

allgemein sind

  • im n {\displaystyle n} -stelligen Nennerbereich 10 n 1 {\displaystyle 10^{n-1}} bis 10 n 1 {\displaystyle 10^{n}-1} genau   9 n {\displaystyle \!\ 9^{n}} Nenner zulässig.

Die 9 {\displaystyle 9} zulässigen einstelligen Nennerwerte sind allesamt größergleich 1, daher sind die Brüche in der Reihe jeweils kleinergleich 1; die 9 2 {\displaystyle 9^{2}} zulässigen zweistelligen Nenner sind alle größergleich 10, daher sind die entsprechenden Brüche alle kleinergleich 1 10 {\displaystyle {\tfrac {1}{10}}} ; die 9 3 {\displaystyle 9^{3}} dreistelligen zulässigen Nenner sind jeweils größergleich 100, daher sind die entsprechenden Brüche allesamt kleinergleich 1 100 {\displaystyle {\tfrac {1}{100}}} ; usw.

Das ergibt die obere Schranke

K 0 = ( 1 1 + 1 2 + 1 3 + + 1 9 ) + ( 1 11 + + 1 99 ) + ( 1 111 + + 1 999 ) + < ( 1 1 + 1 1 + 1 1 + + 1 1 ) + ( 1 10 + + 1 10 ) + ( 1 100 + + 1 100 ) + = 9 1 1 + 9 2 1 10 + 9 3 1 100 + {\displaystyle {\begin{matrix}K_{0}&=&({\frac {1}{1}}+{\frac {1}{2}}+{\frac {1}{3}}+\cdots +{\frac {1}{9}})&+&({\frac {1}{11}}+\cdots +{\frac {1}{99}})&+&({\frac {1}{111}}+\cdots +{\frac {1}{999}})&+&\cdots \\&<&({\frac {1}{1}}+{\frac {1}{1}}+{\frac {1}{1}}+\cdots +{\frac {1}{1}})&+&({\frac {1}{10}}+\cdots +{\frac {1}{10}})&+&({\frac {1}{100}}+\cdots +{\frac {1}{100}})&+&\cdots \\&=&9\cdot {\frac {1}{1}}&+&9^{2}\cdot {\frac {1}{10}}&+&9^{3}\cdot {\frac {1}{100}}&+&\cdots \end{matrix}}}
= 9 ( 1 + ( 9 10 ) + ( 9 10 ) 2 + ( 9 10 ) 3 + ) {\displaystyle =9\cdot \left(1+\left({\frac {9}{10}}\right)+\left({\frac {9}{10}}\right)^{2}+\left({\frac {9}{10}}\right)^{3}+\cdots \right)}
= 9 1 9 10 = 90. {\displaystyle ={\frac {9}{1-{\frac {9}{10}}}}=90.}

(Bei der Reihe in der vorletzten Zeile handelt es sich um eine konvergente geometrische Reihe)

Damit konvergiert K 0 {\displaystyle K_{0}} und es gilt die (ziemlich großzügige) Schranke

K 0 < 90. {\displaystyle K_{0}<90.}

Der Beweis der Konvergenz der anderen Reihen verläuft analog, es ist aber zu beachten, dass im einstelligen Nennerbereich nur 8 Werte, im zweistelligen Nennerbereich aber 8 9 {\displaystyle 8\cdot 9} Nennerwerte zulässig sind, da an der ersten Stelle sowohl die Null als auch die entsprechende Ziffer, an der zweiten Stelle aber nur die entsprechende Ziffer "verboten" sind usw.; insgesamt ergibt sich dadurch die Schranke 80 {\displaystyle 80} .

Werte

Die Reihen konvergieren extrem langsam.

Näherungswerte

Ausgelassene Ziffer Näherungswert[3]
0 23,10344
1 16,17696
2 19,25735
3 20,56987
4 21,32746
5 21,83460
6 22,20559
7 22,49347
8 22,72636
9 22,92067

Effiziente Berechnungsmöglichkeiten

Aufgrund der ziemlich langsamen Konvergenz benötigt man schnelle und effiziente Berechnungsalgorithmen, vgl.[4]

Erweiterungen

n-faches Auftreten

F. Irwin verallgemeinerte das Resultat der Konvergenz der zehn Kempner-Reihen, indem er bewies, dass alle Reihen, die über die Kehrwerte aller natürlicher Zahlen, in denen die Ziffer x 0 {\displaystyle x_{0}} genau n 0 {\displaystyle n_{0}} mal, die Ziffer x 1 {\displaystyle x_{1}} genau n 1 {\displaystyle n_{1}} usw. auftreten, ebenfalls konvergieren.[5]

Die Summe der Kehrwerte der natürlichen Zahlen, in denen genau eine 9 vorkommt, beträgt etwa 23,044287080747848319. Dieser Wert ist größer als Kempners K 9 {\displaystyle K_{9}} , obwohl diese mit größeren Summanden beginnt. Ein extremeres Beispiel dafür ist die Summe der Kehrwerte der natürlichen Zahlen, in denen einhundert Nullen vorkommen, sie beginnt mit dem Summanden 1 / 10 100 {\displaystyle 1/10^{100}} und ist dennoch größer als etwa K 9 {\displaystyle K_{9}} .[4]

Zusammenhängende Ziffernfolgen

Eine Möglichkeit, die harmonische Reihe weit weniger auszudünnen, ist, nur alle Summanden herauszunehmen, deren Nenner irgendwo eine bestimmte zusammenhängende Ziffernfolge – etwa 314 (die ersten drei Stellen der Kreiszahl π {\displaystyle \pi } ) – enthält. Auch derartige Reihen konvergieren; im genannten Beispiel ergibt sich ein Grenzwert von etwa 2299,829782.[6] Bei Herausnahme der ersten sechs Stellen 314159 ergibt sich ein Grenzwert von etwa 2302582,333863782607892.[7] Allgemein gilt: Wenn alle Summanden mit einer zusammenhängenden Ziffernfolge der Länge n {\displaystyle n} herausgenommen werden, konvergiert die Reihe mit einem Grenzwert in der Größenordnung von etwa 10 n ln 10 {\displaystyle 10^{n}\cdot \ln 10} .[8]

In anderen Stellenwertsystemen

Es gibt natürlich auch analoge Reihen in anderen Stellenwertsystemen. Die duale Kempner-Reihe etwa entsteht durch Streichen aller Summanden, die eine O {\displaystyle {\rm {O}}} in ihrer Dualdarstellung enthalten. Alle Dualzahlen zu streichen, in denen eine I {\displaystyle {\rm {I}}} vorkommt, geht nicht. Die einzige duale Kempner-Reihe ist also

K dual = I I + I I I + I I I I + I I I I I + (dual) = 1 + 1 3 + 1 7 + 1 15 + 1 31 +  (dezimal) = k = 1 1 2 k 1 = 1,606 69515241529 , {\displaystyle {\begin{alignedat}{2}K_{\text{dual}}&={\frac {\rm {I}}{\rm {I}}}+{\frac {\rm {I}}{\rm {II}}}+{\frac {\rm {I}}{\rm {III}}}+{\frac {\rm {I}}{\rm {IIII}}}+\cdots &{\text{(dual)}}\\&=1+{\frac {1}{3}}+{\frac {1}{7}}+{\frac {1}{15}}+{\frac {1}{31}}+\cdots &{\text{ (dezimal)}}\\&=\sum _{k=1}^{\infty }{\frac {1}{2^{k}-1}}\\&=1{,}60669515241529\ldots ,\end{alignedat}}}

welche gegen die Erdős-Borwein-Konstante konvergiert. Zum Beweis der Konvergenz betrachte man die unendliche konvergente geometrische Reihe k = 0 1 2 k = k = 0 ( 1 2 ) k = 1 1 1 2 = 2 {\displaystyle \sum _{k=0}^{\infty }{\frac {1}{2^{k}}}=\sum _{k=0}^{\infty }\left({\frac {1}{2}}\right)^{k}={\frac {1}{1-{\frac {1}{2}}}}=2} als obere Schranke.

Literatur

  • Julian Havil: Gamma: Eulers Konstante, Primzahlstrände und die Riemannsche Vermutung. Springer, Berlin 2007, S. 42ff. ISBN 978-3-540-48495-0
  • Folge A082839 in OEIS und Folge A082830 in OEIS

Einzelnachweise

  1. Aubrey J. Kempner: A Curious Convergent Series. In: Amer. Math. Monthly, Band 21 Nr. 2, Mathematical Association of America, Washington 1914, S. 48–50, ISSN 0002-9890.
  2. Anmerkung: Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Ziffer in einer n-stelligen dezimalen Zifferngruppe: P(n) = 1 - (9/10)^n. Für n=7: P > 50 %.
  3. Eric W. Weisstein: Kempner Series. In: MathWorld (englisch).
  4. a b Robert Baillie: Summing the Curious Series of Kempner and Irwin, 27. Juni 2008, arxiv
  5. F. Irwin: A Curious Convergent Series. In: Amer. Math. Monthly. Band 23, 1916, Seiten 149–152.
  6. R. Baillie, T. Schmelzer: Summing Kempner's Curious (Slowly-Convergent) Series. 20. Mai 2008; vgl. in Wolfram Library Archive
  7. R. Baillie, T. Schmelzer: Summing Kempner's Curious (Slowly-Convergent) Series. 20. Mai 2008; vgl. in Wolfram Library Archive
  8. Eric W. Weisstein: Kempner Series. In: MathWorld (englisch).